Risse, Einstürze und Zerfall: Narrative Strategien der Kontingenzerzeugung und -bewältigung (1947–1972)

Carla Peca, Dissertation, Seit 2022

Vergrösserte Ansicht: Ingeborg Bachmann, was wahr ist, 1956
Ingeborg Bachmann, was wahr ist, 1956

Während die architektonische Moderne mit baustatischen Berechnungen und Konstruktionen auf die beschleunigten Bewegungsflüsse der industriellen Lebenswelt antwortete und sich zum Ziel setzte, diese zu kanalisieren und lenken, werden gleichsam durch das kulturelle Imaginäre Szenen der Zerstörung auf die bauliche Umwelt projiziert. Die zahlreichen Beschreibungen von unerklärlichen Rissbildungen und unvorhergesehenen Einstürzen in literarischen und filmischen Narrativen der Nachkriegszeit zeugen von einem Konflikt zwischen den bautechnischen Bestrebungen Kontingenzerfahrungen zu minimieren und der gleichzeitigen Erschaffung neuer Momente der Fehleranfälligkeit sowie dem menschlichen Scheitern sich den Gebrauchsregeln der eigenen Designobjekten und Technologien unterzuordnen. Mit Ingeborg Bachmanns «Ein Ort für Zufälle» und «Malina», Giuseppe de Santis’ Roma Ore 11 und Boris Vian L'écume des jours werden die fiktionalisierten Städte Berlin, Wien, Rom und Paris als exemplarische Schauplätze einer westeuropäischen Moderne gewählt.

Die filmischen oder literarischen Riss-, Einsturz- und Zerfallszenen verweisen auf eine weitergefasste kulturelle, soziale und politische Auseinandersetzung mit Kontingenzerfahrungen und zeigen eine Verunsicherung, die sich im Angesicht der modernen Lebenswelt breit macht. Erst in den fragmentarischen und multiperspektivischen Narrativen im Bereich des Imaginären und der Fiktion findet eine ästhetische Übersetzung dieser Erfahrung statt, die im Close Reading untersucht werden kann. In den Szenen von Rissbildungen und Einstürzen werden physikalische und soziale Kräfte sichtbar, die auf die baulichen und sozialen Strukturen einwirken und ein zerstörerisches Potential aktivieren können. In ihnen wird eine klassisch soziologische Kontroverse behandelt: zwischen Statik und Dynamik, zwischen Berechnung und Unbestimmtheit, zwischen gesellschaftsformenden Strukturen und der Unberechenbarkeit menschlicher Dynamiken.

 

 


Kontakt

Carla Marcella Peca
  • HIL E 64.3

Professur für Architekturtheorie
Stefano-Franscini-Platz 5
8093 Zürich
Schweiz

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert