Die Farben und Lacke der Weissenhofsiedlung

Vertiefungsarbeit, Paweł Bejm, 2021

Vergrösserte Ansicht: Reinhold Naegele, Weissenhofsiedlung, Stuttgart bei Nacht, 1927
Reinhold Naegele, Weissenhofsiedlung, Stuttgart bei Nacht, 1927

Die allgemeine Wahrnehmung der Weißenhofsiedlung, verzerrt durch die zeitgenössischen Schwarz-Weiß-Fotos der Ausstellung, ist einseitig auf ein einheitliches Bild ausgerichtet, das keine Farben enthält und der Ästhetik des Neuen Bauens entspricht. Die berühmten Fotos der rein weissen Moderne stehen jedoch im Gegensatz zur Realität, die von anderen zeitgenössischen Quellen wie den Gemälden von Reinhold Nägele erfasst wird, die als Grundlage für die Entdeckung der vielfältigen Farbpaletten dienen, die in den Ausstellungshäusern verwendet wurden. In der Tat wurde die Vielzahl der Farben in vielen Fällen nicht nur als Akzente eingesetzt, sondern als Materialisierung komplexer, von den Architekten entwickelter Farbtheorien. Die Farbpaletten von Le Corbusier oder Bruno Taut wurden unter anderem stark von Faktoren wie der Haltbarkeit der Farbe, den Material- und Anwendungskosten, der Verfügbarkeit von natürlichen und synthetischen Pigmenten, aber auch von vielen gesellschaftlichen Anliegen wie der Individualität des Ausdrucks oder der Hygiene und Gesundheit der Bewohner beeinflusst. Die Wahl der Farbe und des Anstrichs war eine Frage der Effizienz, und als solche soll sie nicht nur von Theoretikern analysiert, sondern auch aus praktischer Sicht bewertet werden. Durch die Untersuchung von vier technologischen Innovationen in der Farbherstellung des frühen 20.

Jahrhunderts und deren direkte Auswirkungen auf die Architektur der Weißenhofsiedlung wird eine neue Perspektive auf den oft marginalisierten Aspekt der Farbe in der modernen Architektur eröffnet. Wie ermöglichte die Erfindung des Titanweißes die Entfaltung der weißen Moderne, nachdem andere giftige Pigmente 1927 verboten worden waren? Wie übertraf die moderne Tünche die traditionelle Kalkfarbe und förderte einen hygienischen Lebensstil? Wie ermöglichte die Verfeinerung einer alten Freskotechnik die Erfindung einer bahnbrechenden, dauerhaften Keim-Mineralfarbe? Oder wie erlaubte es die Salubra-Farbsammlung Le Corbusier, seine Farbkonzepte für künftige Generationen zu verewigen. Das besondere Interesse liegt dabei darin, „Farbe" und „Lack" nicht isoliert zu betrachten, sondern in einer Beziehung zwischen Theorie und Praxis, die die direkte Verbindung zwischen Architektur, Kunst und Industrie hervorhebt.


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