Eine Frage des Stils. Architektur und Modernisierung: Das Werk von Giuseppe Vaccaro, 1916-1970

Giorgio Azzariti, Dissertation, Seit 2020

Vergrösserte Ansicht: Giuseppe Vaccaro: Sant'Antonio Abate Church, Recoaro Terme, Italy
Giuseppe Vaccaro: Sant'Antonio Abate Church, Recoaro Terme, Italy

 

Risorgimento Nazionale (Nationaler Aufschwung), Rivoluzione Fascista (faschistische Revolution), Ricostruzione Democratica (demokratischer Wiederaufbau): Die drei wichtigsten Etappen in der Geschichte des vereinten Italiens sind durch die Vorsilbe ri- gekennzeichnet. Sie bringen den Wunsch nach einem Neuanfang zum Ausdruck und lassen eine Zeit sozialer, politischer und wissenschaftlicher Rückständigkeit hinter sich. Giuseppe Vaccaro (1896–1970) durchläuft diese unterschiedlichen geschichtlichen Phasen mühelos und beweist mit seinen über 140 Projekten, die er in etwa 50 Jahren errichtet, dem Königreich Italien, dem faschistischen Regime, der Italienischen Republik und dem Vatikanstaat, dass er mit seinem Stil das Mittel hat, die Fortschrittsbestrebungen zu erfüllen.


Über jegliche ideologische Ausrichtung hinweg, erfüllt Vaccaro den Wunsch der Modernisierung des Landes, indem er immer auf mehreren Ebenen agiert und die ausgeprägte Fähigkeit besitzt, zwischen den verschiedenen Stimmen und Meinungen zu vermitteln: Er leitet die Erneuerung des akademischen Systems der Architektur ein, das immer noch an die Tradition der Beaux-Arts gebunden ist, hin zu einem polytechnischen Programm und legitimiert die Umwandlung durch eine solide Verbindung zum Erbe des 19. Jahrhunderts; er steuert die Entwicklung des Verwaltungsapparats durch den umfangreichen Einsatz des Regelbuches, welches zur Systematisierung, Übertragung und Entwicklung von technischen Standards und Bauvorschriften führt; er setzt auf die Zusammenarbeit mit führenden Ingenieuren und Technologen seiner Zeit, um mit innovativen strukturellen Lösungen, der Verwendung neuer Materialien und standardisierten Produktionsprozessen zu experimentieren und um den sich wandelnden ideologischen, wirtschaftlichen und infrastrukturellen Bedürfnissen gerecht zu werden; er führt die Debatte über den öffentlichen Wohnungsbau und die damit zusammenhängenden sozialen Fragen und die Beziehung zwischen Stadt und Land; er definiert eine neue Architektursprache, die in der Lage ist, der breiten Öffentlichkeit die Erneuerungswünsche seiner Kunden zu vermitteln.


Mit dem Zusammenbringen der unterschiedlichen Erzählformen und der erstmaligen vollständigen Aufarbeitung Vaccaros Archivs – sowie der Untersuchung der Hinterlassenschaften seiner Klienten, Mitarbeitern und Lehrern – analysiert diese Dissertation die Entwicklung der italienischen Architektur, Bautechnologie und Gesellschaft während radikaler politischer Umwälzungen und betrachtet dabei einen Zeitraum von etwa fünfzig Jahren (1916–70) und mehrere Fallstudien. Vaccaro ist dabei nicht als alleiniger Protagonist der Untersuchung gedacht, sondern fungiert als methodologisches Werkzeug der analytischen Betrachtung. So wird der Fokus der italienischen Architekturhistoriographie weg von der öffentlichen Debatte, die von einzelnen Architekten und Kritikern gefördert wird, hin zur Baupraxis verlagert und kann somit als Ergebnis kollegialer Arbeit zwischen Architekten, Bauherren, Ingenieuren, Medien, Nutzern und akademischen, administrativen, industriellen und politischen Organisationen verstanden werden.


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Giorgio Azzariti
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